Der Begriff “Schwangerschaftsvergiftung” ist umgangssprachlich geläufig, aber irreführend und medizinisch nicht korrekt. Man muss zwei grobe Unterscheidungen treffen, um all das, was verbreitet unter einer Schwangerschaftsvergiftung verstanden wird, zu definieren.
Themen des Beitrags
Definition – Was ist eine “Schwangerschaftsvergiftung”?
Die Bezeichnung basiert auf einem früheren Wissensstand. Man ist davon ausgegangen, dass bedingt durch die Schwangerschaft eine Freisetzung von Stoffen erfolgt, die den Körper “vergiften”. Diese Annahme ist widerlegt. Es findet keine Vergiftungsreaktion statt.
Es gibt aber Erkrankungen, die durch eine Schwangerschaft ausgelöst werden können. Solche Erkrankungen nennt man Gestosen. Du kennst sicherlich Übelkeit mit Erbrechen am Morgen im frühen Stadium einer Schwangerschaft? Dabei handelt es sich um die wahrscheinlich bekannteste Form und ganz nebenbei auch um ein ganz typisches Anzeichen einer frühen Schwangerschaft.
Abgesehen von Gestosen gibt es bestimmte Symptome, die im Zuge einer Schwangerschaft und Geburt auftreten, die heute zu den sogenannten Anpassungsstörungen gezählt werden. Sie spielen eine Rolle bei der Definition der Schwangerschaftsvergiftung, weil nicht nur psychische, sondern auch körperliche Symptome auftreten können.
Was ist eine Anpassungsstörung?
Eine Anpassungsstörung tritt auf, wenn einschneidende Ereignisse im Leben (Schwangerschaft, Geburt) nicht adaptiert werden können. Die Ursache liegt in der Psyche, jedoch ist in der Folge häufig der Körper betroffen. Er kann mit verschiedenen Symptomen (Kreislaufbeschwerden, Bauchschmerzen) darauf reagieren.
Eine Anpassungsstörung ist ebenso ernstzunehmen, weil sie subjektiv manchmal schwer von einer Gestose unterschieden werden können.
Liegt eine Neigung zur Depression vor, tritt Angst, Sorge im Übermaß auf, ist das Risiko für eine Anpassungsstörung höher. Ein festigendes psychosoziales Umfeld und Unterstützung kann hier Abhilfe schaffen.
In schwereren Fällen ist nach Ausschluss einer Gestose eine Psychotherapie hilfreich.
Formen von Gestosen
“Gestose” ist ein übergeordneter Begriff für unterschiedliche Stadien und werden folgendermaßen eingeteilt:
- Frühgestosen (bis zur 20. Schwangerschaftswoche)
- Gestationshypertonie (ab der 20. Schwangerschaftswoche)
- Spätgestosen (nach der abgeschlossenen 20. Schwangerschaftswoche)
Spätgestosen gehören in den Bereich der hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen, sie gehen mit einem erhöhten Blutdruck einher. Formen der Spätgestosen können sein:
- Präeklampsie
- Eklampsie
- HELLP-Syndrom
https://mutterinstinkte.de/schwangerschaft/hellp-syndrom/
Symptome – Woran erkenne ich eine Schwangerschaftsvergiftung?
Symptome für Frühgestose:
Frühgestosen stellen in der Regel kein Risiko in der Schwangerschaft dar, sie sind weit verbreitet und verschwinden nach 12 bis spätestens 16 Wochen von selbst. Zu ihnen gehören:
- Übelkeit
- Erbrechen
Symptome für Gestationshypertonie:
Die Gestationshypertonie kann man als einen Vorläufer der Gestosen verstehen. In knapp der Hälfte der Fälle entwickelt sich daraus eine Präeklampsie.
Symptome für Präeklampsie:
- Anstieg der Blutdruckwerte auf oder über 140 mm Hg
- Protein im Urin (ab Wert 1+ Eiweiß im Urin-Schnelltest)
- Nierenfunktionsstörung
- Ödeme (Lunge)
- Sehr rasche Gewichtszunahme
- Veränderte Leberwerte
- Beim Ungeborenen: Hämatologische und neurologische Störungen
- Beim Ungeborenen: Wachstumsverzögerungen
Symptome für Eklampsie:
- identische Symptome der Präeklampsie sowie
- Übelkeit und Erbrechen
- Augenflimmern
- Anhaltende Kopfschmerzen
- Hyperreflexie (gesteigerte Reflexbereitschaft)
- Tonisch-klonische Krampfanfälle (erhöhte Muskelanspannung, gefolgt von unwillkürlichen Zuckungen)
- Eine Eklampsie kann in 50 % der Fälle auch bei ohne Bluthochdruck und Protein im Urin auftreten.
Symptome für HELLP-Syndrom:
Das HELLP-Syndrom ist meist eine Folge aus der Eklampsie. Der Begriff stammt aus dem Englischen, er setzt sich aus den Teilen (H) hemolysis, (EL) elevated liver enzymes, (LP) low platelets zusammen, was gleichzeitig die Symptomatik beschreibt.
Auf Deutsch bedeutet das:
- Hämolyse (Auflösung von roten Blutkörperchen)
- Pathologisch erhöhte Leberenzyme
- Thrombozytopenie (Mangel an Thrombozyten)
- Epigastrischer Schmerz (Starke Schmerzen im rechten Oberbauch)
- Schmerzen hinter dem Brustbein
- Bewusstseinsstörungen
In diesem Stadium ist aufgrund der starken Gerinnungsfunktion die Gefahr einer Hirnblutung vorhanden. Es kann unbehandelt zur Ablösung der Plazenta kommen sowie zu Nierenversagen und Leberrissen.
Ursachen – Wie entsteht eine Schwangerschaftsvergiftung?
Die Ursachen stehen nicht eindeutig fest. Bestehende Gefäßerkrankungen und eine Fehlfunktion der Plazenta sowie Störungen des Hormonstoffwechsels könnten Ursachen darstellen. Frühere Gestosen oder familiäre Vorbelastungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, erneut an einer Gestose zu erkranken.
Risikofaktoren
- Übergewicht (BMI über 30)
- Alter (über 40)
- Hypertonie (Bluthochdruck)
- Diabetes mellitus
- Nierenerkrankungen
- Autoimmunerkrankungen (Antiphospholipid-Syndrom)
- Mehrlingsschwangerschaft
- Frühere Schwangerschaft mit Gestose
- Gestosen familiär vorhanden
Gefahren und Folgen
Laut Statistik betreffen Spätgestosen rund 8 % aller Schwangerschaften und sind unbehandelt die Hauptursache für maternale Todesfälle.
Weltweit beläuft sich die Zahl der jährlichen Todesfälle der Frauen auf mehr als 70.000. Die Gefahr besteht darüber hinaus in einer Früh- oder Fehlgeburt.
Diagnostik und Untersuchungen
Es gibt bis dato keine einheitliche Diagnostik zur Feststellung einer Gestose. Daher erfolgt die Diagnosestellung über eine Kombination aus verschiedenen Methoden: Eine Anamnese gibt Auskunft über Risikofaktoren und Symptome.
Die für die Diagnostik erforderlichen Tests sind Blutdruckmessungen, Blut-, Urintests, Sonographie.
Vorbeugung einer Schwangerschaftsvergiftung
Zur Vorbeugung einer Schwangerschaftsvergiftung ist es ratsam, die veränderbaren Risikofaktoren bereits im Vorfeld zu minimieren. Das kann bei einer geplanten Schwangerschaft beispielsweise über eine Gewichtsabnahme erfolgen.
Ist das nicht möglich, so liefert die Früherkennung durch die oben genannten Tests einen wertvollen Hinweis und die adäquate Behandlung kann rechtzeitigen eingeleitet werden.
Behandlung
Zur präventiven Behandlung einer Präeklampsie wird ab der 16. Schwangerschaftswoche eine Gabe von Acetylsalicylsäure verabreicht.
Zusätzlich ist körperliche Schonung angezeigt, unter Umständen Arbeitsverbot sowie regelmäßige ambulante Kontrolltests. Diese vorbeugende Behandlung ist sehr effektiv und minimiert nachweislich das Risiko, an einer Präeklampsie vor der 37. Schwangerschaftswoche, einer schweren Präeklampsie und einer Gestationshypertonie zu erkranken.
Aus diesem Grund ist es wichtig, zu einem frühen Zeitpunkt auffällige Symptome durch medizinische Konsultation abklären zu lassen.
Bei einer Eklampsie und einem Bluthochdruck ab 150 mm Hg ist eine stationäre Überwachung im Krankenhaus indiziert. Blutdrucksenkende Medikamente und Magnesium können weitere Gefahren abwenden und das Leben von Mutter und Kind schützen. Die Medikamente werden bis einige Monate nach der Geburt beibehalten und erst langsam abgesetzt. Der Vorteil einer stationären Behandlung ist die permanente Überwachung des Ungeborenen und schnelles Einschreiten bei weiteren Komplikationen.
Ist die Erkrankung so weit fortgeschritten, dass sich Mutter und Kind in Lebensgefahr befinden (HELLP-Syndrom), wird als Sicherheitsmaßnahme meist die Geburt künstlich mittels Kaiserschnitt eingeleitet, um die Mortalität von beiden und Spätschäden für das Ungeborene zu verhindern.
Nach der Geburt
Unmittelbar nach der Geburt ist die Gefahr einer hypertensiven Komplikation noch nicht überstanden. Das Risiko für eine stationäre Wiedereinweisung nach einer Präeklampsie oder Eklampsie mit Kaiserschnitt ist nach Angaben klinischer Studien in den ersten 10 Tagen nach der Entlassung am höchsten.
Ein längerer Aufenthalt und regelmäßige Überprüfungen der Werte vermindern das Risiko für eine Wiederaufnahme aufgrund einer hypertensiven Diagnose nach der Geburt.
Quellen und Literatur:
- Armaly et al. (2018). Preeclampsia: Novel Mechanisms and Potential Therapeutic Approaches. Front Physiol. 2018 Jul 25;9:973.
unter: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fphys.2018.00973/full - Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (2017). Leitlinie: Diagnostik und Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen. AWMF 2017 Nov 30;015/018 – S1.
unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-018l_S1_Diagnostik_Therapie_hypertensiver_Schwangerschaftserkrankungen_2014-verlaengert.pdf - Wen et al. (2018). Postpartum length of stay and risk for readmission among women with preeclampsia. Matern Fetal Neonatal Med. 2018 Aug 19:1-241.
unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30122116 - Xiong et al. (2018). Hypertensive disorders in pregnancy and stillbirth rates: a facility-based study in China. Bull World Health Organ. 2018 Aug 1;96(8):531-539.
unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30104793
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