Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: Der Moment, als ich vor fast 9 Jahren mein erstes Baby auf den Bauch gelegt bekommen habe. “Nach der Geburt sind alle Schmerzen vergessen und alles, was zählt, ist Dein Baby.” Solche Sprüche hatte ich in der Schwangerschaft zu Hauf gelesen und wartete nun auf den Moment, in dem der Blick durch die rosarote Brille einsetzte. Stattdessen dachte ich: “Echt, so sieht mein Baby aus?! Irgendwie ganz schön groß, dick und missmutig der Kleine.” Diese fehlenden Muttergefühle nach der Geburt machten mir lange zu schaffen. Wenn es Dir auch so geht oder Du in Deiner Schwangerschaft Bedenken hast, wie es nach der Geburt werden soll, ist dieser Artikel für Dich.
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Muttergefühle und Mutterliebe fallen nicht vom Himmel
Zumindest nicht immer. Denn während viele Frauen diese reflexartig einsetzenden Muttergefühle unmittelbar nach der Geburt erleben dürfen, geht es vielen auch wie mir: Da ist erst einmal nur die Erschöpfung und der Schmerz. In der ersten Nacht im Krankenhaus habe ich den Kleinen aufopferungsvoll versorgt. Nicht aus der Hand gelegt. Doch gefühlt habe ich dabei nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Da war vor allem Überforderung, Müdigkeit und Schmerzen.
Doch wie ist das eigentlich mit den Muttergefühlen? Was ist das genau und woher kommen sie? Muttergefühle, auch als Mutterinstinkte oder mütterliche Gefühle bezeichnet, sind eine Kombination aus Emotionen, Instinkten und Bindungen, die in der Regel bei Frauen auftreten, wenn sie Mutter werden. Biologisch vorgesehen ist es, dass diese Gefühle wie eine Art Reflex einsetzen, ausgelöst durch Bindungshormone (Oxytocin) und der Anwesenheit des Babys. Allerdings scheint dieser Prozess störanfällig zu sein, sodass er manchmal verzögert oder erst einmal gar nicht einsetzt.
Dieser biologisch angelegte Mutterinstinkt ist übrigens nicht eins zu eins dasselbe wie Mutterliebe. Mutterliebe wird meist definiert als eine tiefe, bedingungslose und starke Form der Liebe, die eine Mutter für ihr Kind empfindet. Und echte Liebe, das wissen wir aus Beziehungen, fällt nicht vom Himmel, sondern wächst. Das heißt, für Mutterliebe (oder fehlende Mutterliebe) musst Du Dein Kind erst einmal kennenlernen.
Gesellschaft hat hohe moralische Ansprüche an die Mutterliebe. Sie soll Bedingungslos sein und bei allen Kindern gleich stark. So funktionieren aber Sympathie und Liebe nicht und solche Ansprüche an sich selbst zu stellen, bringt uns in einen Teufelskreis aus Druck, Schuldgefühlen und Enttäuschung.
Mutterrolle ist nicht dasselbe wie Muttergefühle
Hast Du schon einmal von “Regretting Motherhood” gehört? Das sind Frauen, die im Nachhinein betrachtet lieber keine Kinder gehabt hätten und offen darüber sprechen. Handelt es sich dabei um ein Phänomen fehlender Muttergefühle oder gar fehlender Mutterliebe?
Nein! Dabei handelt es sich meist vielmehr um eine Ablehnung der Aufgaben und gesellschaftlichen Rollen einer Mutter, der Veränderung des Lebensweges, der damit einher geht. Muttergefühle sind nicht gleichzusetzen mit den sozialen und alltäglichen Aufgaben der Mutter, mit der sogenannten Care Arbeit. Man kann sein Kind lieben, aber die Rolle, in der man sich plötzlich befindet, hassen. Wenn Du also so empfindest, sind das keine fehlenden Muttergefühle, sondern Probleme mit den gesellschaftlichen Konventionen, vielleicht kombiniert mit fehlender Unterstützung im Alltag.
Warum fehlen die Muttergefühle nach der Geburt?
Wenn bei Dir in der Schwangerschaft oder nach der Geburt nicht die erwarteten Gefühle eintreten, geh erst einmal nicht vom Schlimmsten aus. Dass Du eine tiefgehende psychische Störung hast, ist nicht sehr wahrscheinlich. Im besten Fall reicht es aus, Dir über die Ursache für die fehlenden Muttergefühle nach der Geburt klar zu werden und Dir ein wenig Zeit zu geben.
Der häufigste Grund ist nämlich, dass die Entwicklung einer gesunden Mutter-Kind-Bindung irgendwie gestört wurde, d.h. dass Dein Körper nicht die entsprechenden Hormone ausschütten konnte. Ursache ist häufig ein Trauma in der Schwangerschaft, während oder nach der Geburt. Bei einer traumatischen Erfahrung schalten wir in den Überlebensmodus. Gefühle werden “abgestellt”, wir funktionieren nur noch. Wenn wir es aus diesem Modus, aus dem Gefühl der Erstarrung, nicht wieder heraus schaffen, kapseln wir uns innerlich ab.
Übermäßiger Stress – und was als solcher empfunden wird ist sehr individuell, hier solltest Du keine Vergleiche mit anderen Familien anstellen – kann ebenfalls dazu führen, dass Du in ein Gefühl der Dauerüberforderung und in den Überlebensmodus rutscht.
Auch eine Wochenbettdepression (postpartale Depression) kann zu einer innerlichen Leere führen und Dich davon abhalten, Muttergefühle zu entwickeln.
Auch durch eine Trennung von Mutter und Kind unmittelbar nach der Geburt , wie bei einem Frühchen, können manche keine Muttergefühle entwickeln – genauso wie nach einem Kaiserschnitt. Bei mir selbst, das weiß ich heute, war der Auslöser die schwere und traumatische Geburt mit einem Wehensturm und vielen medizinischen Interventionen im Krankenhaus.
Fehlende Muttergefühle – Was hilft?
Wie bekomme ich Muttergefühle? Bevor Du gleich den nächsten Stressfaktor draufsetzt und Dir psychologische Hilfe von außen holst, kannst Du euch erst einmal etwas Zeit geben und folgende Punkte versuchen:
- Reduziere den Stress auf ein absolutes Minimum. Bitte Deinen Partner, Freunde oder Familie, Dich in den alltäglichen Aufgaben zu unterstützen, sodass Du Dich nur auf das Wesentliche konzentrieren kannst: Dich und Dein Baby.
- Hole fehlendes Bonding nach der Geburt nach: Viel nackte Haut, viel kuscheln, Stillen, eine Babymassage. Je früher, desto besser, denn im Moment helfen Dir noch die Wochenbett-Hormone. Außerdem schläft Dein Baby jetzt noch viel und zusätzlicher Stress durch Weinen ist selten.
- Sprich über Deine Gefühle – zumindest wenn Dir das irgendwie möglich ist. Ein verständnisvoller Partner oder eine beste Freundin sind häufig mehr wert als ein ausgebildeter Psychologe.
- Lies Erfahrungsberichte von Frauen, denen es ähnlich ging. So wirst Du besser verstehen, dass mit Dir nichts verkehrt ist und Du Dir keinen Druck machen musst.
- Sei nachsichtig mit Dir selbst. Du versorgst Dein Baby mit allem, was nötig ist. Gefühle kann man nicht erzwingen, auch nicht Muttergefühle. Du tust niemandem einen Gefallen, wenn Du Dir Vorwürfe machst. Akzeptiere die momentane Leere und hab Vertrauen, dass es besser werden wird.
- Tu Dir etwas Gutes. Nimm ein warmes Bad, geh zur Massage oder lass Dein Lieblingsessen liefern. Alles, was Dich entspannt, ist jetzt hilfreich.
Mit hat es geholfen, im Wochenbett keinen Besuch zu empfangen, mit meinem Baby im Bett zu bleiben, viel zu stillen und mich auszuruhen. Ich habe offen mit meinem Mann über meine Gefühle gesprochen und schließlich einen Bericht dazu online gestellt. Daraufhin haben viele Mütter reagiert, denen es ähnlich ging. Das hat mich beruhigt und im Laufe der ersten Lebenswochen meines Sohnes dazu geführt, dass die Muttergefühle schließlich eingesetzt haben.
Was, wenn das nicht reicht?
Wenn Du aber feststellst, dass diese “sanften” Maßnahmen nicht ausreichen und Du keine Bindung zum eigenen Kind aufbauen kannst, gibt es Möglichkeiten, sich professionelle Hilfe zu suchen. Es ist nie zu früh, allerdings ist der Schritt für viele ein sehr großer. Spätestens, wenn Du oder Deine Familie Anzeichen einer echten Depression nach der Geburt entdecken oder wenn Du Dich nicht mehr fähig fühlst, Dich richtig um Dein Kind zu kümmern, musst Du Dir Unterstützung holen. Diese findest Du unter anderem
- beim Haus- oder Kinderarzt
- Beratungsstellen, z.B. Schatten-und-Licht e.V., oder Emotionelle Erste Hilfe
- Jugendamt
Besser: Die fehlenden Gefühle zulassen, aber das Kind trotzdem gut versversorgen oder im Notfall abgeben an Großeltern, Papa oder Jugendamt. Der Sache zeit geben. Auf das fokussieren, was funktioniert.
Fehlende Mutterliebe: Spätfolgen im Erwachsenenalter
Denn die bedingungslose Liebe durch die Mutter (oder den Vater) ist wichtig für die psychische Entwicklung eines Kindes. Folgen fehlender Zuneigung können sein:
- Angststörungen,
- mangelndes Selbstbewusstsein,
- Probleme mit emotionaler Kontrolle,
- Einsamkeit / Isolation,
- verschlossene Persönlichkeit,
- Hang zu toxischen Beziehungen
- fehlende Selbstliebe
Du siehst also, zum Wohle Deines Babys lohnt es sich, an Dir zu arbeiten und im Zweifel auch Hilfe von Außen anzunehmen. Muttergefühle wie auch Mutterliebe sind ein Prozess, der nicht immer über Nacht einsetzt, sondern manchmal auch Zeit und Unterstützung braucht.