Sicherlich hast Du schon einmal den Spruch gehört: „Die hat doch einen Vaterkomplex!“ Meistens steht dieser Satz im Zusammenhang mit jungen Frauen, die eine Beziehung zu einem wesentlich älteren Mann haben. Aber spielt der Vaterkomplex wirklich nur auf den Altersunterschied an? Hast Du Dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, was der Vaterkomplex eigentlich genau ist? Ich habe mich dieser Frage einmal angenommen und kläre Dich in diesem Beitrag über die Ursachen und Folgen des Vaterkomplexes auf.
Themen des Beitrags
Vaterkomplex: Was heißt das?
Der Vaterkomplex wird in der Fachsprache auch „Elektrakomplex“ genannt. Gemeint ist hiermit die Beziehung zwischen dem Vater und seiner Tochter. Das kann eine sehr innige Beziehung sein. Sie kann aber auch durch eine große Distanziertheit geprägt sein. Auf jeden Fall spielt die Vater-Tochter-Beziehung eine entscheidende Rolle auf zukünftige Beziehungen der Tochter.
Und schon sind wir beim Thema: Bei einem Vaterkomplex steht der Vater emotional zwischen der Frau (Tochter) und ihrem Partner. Das heißt, alle aus ihrer Kindheit unerfüllten Wünsche und Konflikte in Bezug auf ihren Vater sind noch nicht verarbeitet. Folglich versperrt ihr dieser Umstand im Unterbewusstsein bereits bei der Partnerwahl einen objektiven Blick auf den Mann und schränkt ihren Blickwinkel ähnlich wie bei Scheuklappen deutlich ein. Denn solch eine Frau betrachtet einen Mann mit dem unterschwelligen Gefühl: „Das kommt mir bekannt vor. Da fühle ich mich hingezogen.“ Sie erhofft sich unbewusst, von diesem Mann das zu bekommen, was ihr als Kind vom Vater verwehrt wurde.
Wurde sie in der Kindheit beispielsweise vom Vater distanziert behandelt, so wird sie sich im späteren Leben wahrscheinlich zu Männern hingezogen fühlen, die sich ihr gegenüber ebenso verhalten. Genauso wird es sich verhalten, wenn diese Frau als Kind erfahren musste, dass es die Aufmerksamkeit des Vaters nur in Verbindung mit gehorsamem Verhalten gab. Sie wird sich einen Mann aussuchen, bei dem sie nach dem gleichen Schema um seine Liebe werben kann. Dass das auf jeden Fall keine guten Voraussetzungen für eine erfüllte Partnerschaft sein können, liegt auf der Hand.
Wie erkenne ich einen Vaterkomplex?
Den meisten betroffenen Frauen ist ein Vaterkomplex überhaupt nicht bewusst. Wie stark so ein Vaterkomplex ausgeprägt ist, hängt von ganz persönlichen Faktoren ab. Gemeinsam haben sie jedoch alle eines: Der unbewusste Einfluss des Vater auf das Verhalten der Tochter wird sie ein Leben lang begleiten.
Folgende Verhaltensweisen deuten auf einen Vaterkomplex hin:
- Der Partner ähnelt dem Vater.
- Es werden ältere Männer bevorzugt. Jüngere Männer sind uninteressant.
- Es wird die ungeteilte Aufmerksamkeit des Partners gefordert.
- Es wird mit Nettigkeiten um die Liebe des Partners geworben.
- Es werden dauernde Liebesbeweise gefordert.
- Aus Unsicherheit wird bei Streit sehr emotional reagiert.
Welchen Einfluss hat der Vaterkomplex auf die Partnerwahl?
Die Beziehung zu unserem Vater ist die erste Bindung zum anderen Geschlecht, die wir aufnehmen. Darum ist es auch wenig verwunderlich, dass eben diese Beziehungsmuster, die sich daraus entwickeln, uns im späteren Leben wieder einholen werden. Verbinde ich mit meinem Vater beispielsweise Strenge und Autorität, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich später einen dominanten Partner auswähle.
Also werde ich meinen Partner im Unterbewusstsein danach aussuchen, ob er meine Hoffnungen nach nicht erfüllten Sehnsüchten, Anerkennung, Geborgenheit oder Liebe, die aus einer konfliktgeladenen Vater-Tochter-Beziehung herrühren, ausgleichen kann. Andere Faktoren oder Eigenschaften des zukünftigen Partners werden dabei zunächst gar nicht bemerkt.
Manchmal fällt die optische Ähnlichkeit des Partners im Vergleich zum Vater sofort ins Auge. Es gibt aber auch Ähnlichkeiten, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. So können zum Beispiel Männer, die sich optisch total unterscheiden, unterschiedliche Hobbys ausüben und beruflich ganz andere Wege gehen, trotzdem die gleichen Gefühle in uns wachrufen. Nämlich dann, wenn das bekannte Vater-Tochter-Schema in uns geweckt wird und der Mann dadurch für uns interessant wird. Wieder unbewusst, hoffen wir darauf, dass dieser neue Partner eine unerfüllte Sehnsucht aus unserer Vater-Tochter-Beziehung stillen möge.
Welche Auswirkungen hat der Vaterkomplex auf spätere Beziehungen?
Schwierig wird der Vaterkomplex in einer Beziehung immer dann, wenn wir auf Auseinandersetzungen mit unserem Partner, sei es in Bezug auf mangelnde Anerkennung oder das Bedürfnis auf temporäres Zurückziehen des Partners, emotional völlig unangemessen reagieren. Dies geschieht deshalb, weil die Reaktionen des Partners in uns schmerzliche Kindheitserinnerungen wachrufen. Diese kindlichen Emotionen aus der Vergangenheit werden wieder geweckt und legen sich zusätzlich verstärkend über die “erwachsenen” Gefühle. Ergebnis: Es knallt ordentlich in der Beziehung und das schon bei scheinbar kleinen Anlässen oder (gerade für den Partner) in unerwarteten Situationen.
Zeigt der Partner darüber hinaus auch noch unliebsame Eigenschaften unseres Vaters, werden wir gegen diese in einer Art und Weise ankämpfen, die unseren Partner nicht nur verwirrt und überfordert, sondern ihm gegenüber auch unfair ist. Dabei ist der Partner nur Auslöser dieser Wut, die sich eigentlich gegen unseren Vater richtet. Das zu erkennen, ist für beide Partner nicht leicht und benötigt viele intensive Gespräche, um der Ursache dieser Wut auf den Grund zu gehen. Nämlich die Erkenntnis, dass dahinter eine nicht aufgearbeitete Vater-Tochter-Beziehung steckt und die gegen den Mann gerichtete Enttäuschung, Trauer und Wut einfach den falschen Adressaten getroffen hat.
Wie sich ein Vaterkomplex für den Partner anfühlt
Für den Partner einer Frau mit Vaterkomplex ist es nicht einfach, denn er fühlt sich hin und her gerissen. Die Konflikte, die in dieser Beziehung ausgetragen werden, hätten eigentlich zwischen der Frau und ihrem Vater ausgetragen werden sollen. Somit kann sich der Partner noch so viel Mühe geben, eine optimale Lösung wird er meistens nicht finden können. Selbst mit viel Zuwendung und Liebe wird er die Geschehnisse aus der Kindheit seiner Partnerin nicht ungeschehen machen können.
Da der Partner für die Kindheit der Frau natürlich nichts kann, wird ihn das negative Gefühl beschleichen, es ihr nie recht machen zu können. Auch wenn der Mann objektiv betrachtet möglicherweise ein Glücksgriff ist, so kann die Beziehung dennoch an den im Unterbewusstsein der Frau vorhandenen nicht zu erfüllenden Erwartungen an den Partner scheitern.
Darum reagiert unsere Psyche so
Wir neigen dazu, durch unser Unterbewusstsein schmerzliche und unschöne Erinnerungen in unserem Inneren zu vergraben, um nicht ständig an diese erinnert werden zu müssen. Anstatt nun die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich der Realität zu stellen, überträgt die Frau den Vaterkomplex in die Gegenwart und somit in die Beziehung zu ihrem Partner. Das Glück solch einer Beziehung ist daher schon von Beginn an getrübt.
Der Vaterkomplex stellt so zu sagen einen missglückten Lösungsversuch für die problembelastete Vater-Tochter-Beziehung dar, den der Partner eben nicht lösen kann (1). Daher werden sich diese Frauen häufig in Beziehungen wiederfinden, in denen sie unglücklich sind.
Da es in unserem Leben viele verschiedene Bereiche gibt, können Frauen mit Vaterkomplex in anderen Lebensbereichen durchaus erfolgreich und in der Lage sein, situationsbedingt angemessen zu reagieren. So hat jeder von uns unterschiedliche Probleme im Leben zu bewältigen. Frauen mit Vaterkomplex müssen lernen, sich vom Vater loszulösen. Und für diesen Prozess ist es glücklicherweise nie zu spät.
Ist ein Vaterkomplex sehr schlimm?
Zu Deiner Beruhigung kann ich Dir sagen: Ganz so dramatisch wie es vielleicht im ersten Moment klingen mag, ist es nicht. Und es gibt sicher Schlimmeres im Leben. Halte Dir vor Augen, dass Du für den Vaterkomplex nichts kannst, da er in Deinem Unterbewusstsein entsteht. Letztendlich kommt es auch nicht darauf an, zu welchem Mann Du Dich hingezogen fühlst, selbst wenn er Deinem Vater ähnelt.
Schwierig wird der Vaterkomplex nur dann, wenn er Deine Erwartungen an den Partner und Dein Verhalten ihm gegenüber nachhaltig beeinflusst.
Wie kann ich einen Vaterkomplex wieder loswerden?
Selbst ein perfekter Mann kann die Defizite der Vaters-Tochter-Beziehung in der Kindheit nicht beseitigen. Trotzdem ist es schön, einen Partner zu haben, der Dir Liebe und Geborgenheit entgegenbringt. Dieses Glück kannst Du aber nur richtig genießen, wenn Dein Vater nicht ständig emotional zwischen Dir und Deinem Partner steht.
Damit Du einen Vaterkomplex abbauen kannst, musst Du Dich zunächst von Deiner Vergangenheit und den damit verbundenen unerfüllten kindlichen Wünschen Deinem Vater gegenüber lösen und damit die Vergangenheit ruhen lassen. Um den nächsten Schritt wirst Du allerdings nicht herumkommen: Du brauchst in jedem Fall professionelle Hilfe, um die Verletzungen Deiner kindlichen Seele aufzuarbeiten. Nur durch eine entsprechende Therapie wirst Du irgendwann in der Lage sein, Deinen zukünftigen potentiellen Partner mit einem unverbauten Blick betrachten zu können und Dir und Deinem Partner Beziehungskatastrophen zu ersparen.
Nach einer geglückten Therapie stehen Deine Chancen gut, dass beim nächsten Mann alles anders wird und als Belohnung eine glückliche Beziehung auf Dich wartet.
Fazit:
In diesem Beitrag hast Du gelernt, dass der Vaterkomplex seinen Ursprung in der Kindheit hat. Darum halte Dir immer vor Augen, dass Deine Tochter (und auch Dein Sohn) für eine erfüllte Kindheit und eine gute Entwicklung immer auch einen Vater oder wenigstens eine Vaterfigur braucht. Es ist mittlerweile durch Studien erwiesen, dass die Liebe und Erziehung der Mutter die Rolle des Vaters nicht ersetzen kann. Dem Vater kommt also entgegen der häufigen Meinung eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Eine liebe- und respektvolle Vater-Tochter-Beziehung kann Deiner Tochter Tür und Tor zu einem glücklichen (Liebes-) Leben öffnen.
Bild:
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Ich bin schon lange zu der Erkenntnis gekommen, dass sich eine Beziehung zu psychisch belasteten Personen nicht lohnt. Man verschwendet da seine Lebenszeit, während das Gegenüber die Beziehung ständig torpediert. Ob unterbewusst oder bewusst ist egal. Manche Menschen können einfach nicht glücklich sein, und wenn man selbst nicht unglücklich sein will, heißt es Abstand halten.
Hallo Markus,
danke für diesen Kommentar. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es psychisch nicht belastete Personen überhaupt gibt 😉 Die Frage ist nur, wie stark die Belastung ist und wie man damit umgeht.
In jedem Fall glaube ich, die beste Garantie für eine gute Beziehung ist, wenn man stabil und sich selbst genug ist. Dann muss man sich gar nicht auf Verwicklungen und Spielchen durch andere einlassen und gerät auch nicht an Partner, die einem nicht gut tun.
Alles Gute,
Hanna