Heute soll es nicht um die Frage gehen, ob Du eine schlechte Mutter bist, wenn Du entschieden hast, Dein Kind nicht zu stillen. Denn dass Stillen das Beste für’s Baby ist, liest Du ohnehin überall. Wenn Du trotzdem entschieden hast, Dein Kind nicht zu stillen, hast Du dafür bestimmt Gründe und Dir das gut überlegt. Und tatsächlich ist Muttermilch nicht der einzige Faktor in eine gesundes und glückliches Leben. Allerdings solltest Du wissen, dass Du die Möglichkeit hast, Deinem Neugeborenen einen unglaublichen gesundheitlichen Vorteil zu verschaffen, ohne es auch nur einmal zu stillen. Hier erfährst Du, wie das geht.
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Vormilch geben ist nicht automatischer Stillbeginn
Wenn Du Dir jetzt denkst, ich möchte Dich doch auch wieder nur überreden, doch zu stillen – nein. Die kostbare Vormilch zu geben hat mit dem eigentlichen Stillen nicht viel zu tun. Denn nur, wenn Du Dein Baby regelmäßig anlegst und erst nach ein paar Tagen bildet Dein Körper zunächst die Übergangsmilch (Milcheinschuss) und dann die reife Muttermilch. Ich spreche aber nicht davon, Dein Baby mehrfach oder sogar überhaupt anzulegen, sondern davon, ihm einmalig oder ein paar Mal eine Art Wundermittel zu verabreichen, das Dein Körper produziert und kostenlos zur Verfügung stellt. Und selbst, wenn diese Vormilch mit hohen Kosten verbunden wäre, würde ich Dir eindringlich dazu raten. Denn die Vorteile für die Säuglingszeit und das ganze restliche Leben sind kaum mit Geld zu bezahlen!
Einmal ist Keinmal
Einmalig oder in den ersten Tagen Kolostrum ausstreichen behindert nicht das Abstillen bzw. Nichtstillen. Vermutlich kommt gar kein Milcheinschuss, wenn Du nur einmal anlegst oder Milch ausstreichst. Zur Sicherheit kannst Du nach dem Kreißsaal aber auch die primäre Abstilltablette nehmen, die mit weniger Komplikationen verbunden ist als das Medikament nach dem Milcheinschuss. Man spricht dann immer noch von primärem Abstillen, also davon, dass nie gestillt wurde (hormonell gesehen) bzw. nur im Kreißsaal angelegt wurde. Die Tablette zum Abstillen nach dem Milcheinschuss wird oft nicht so gut vertragen, weil im Körper schon eine Umstellung stattgefunden hat.
Kolostrum gewinnen vor der Geburt
Wenn Du mit Stillen und Muttermilch nach der Geburt überhaupt nichts am Hut haben möchtest oder auf Nummer sicher gehen möchtest – immerhin könnte es ja sein, dass Du nach der Geburt nicht imstande bist, Vormilch zu gewinnen – kannst Du auch vor der Geburt Kolostrum ausstreichen und lagern. Tiefgekühlt kannst Du es dann zur Geburt mit ins Krankenhaus nehmen und der Hebamme in die Hand drücken. Sie weiß über die weitere Lagerung und hoffentlich auch über das Vorgehen nach der Geburt Bescheid.
Warum ist Kolostrum so wertvoll?
Aber warum eigentlich der ganze Aufwand? Immerhin hast Du ja entschieden, nicht zu stillen. Aber auch und vor allem, wenn Dein Baby die Flasche bekommt, ist die Vormilch wie ein wertvolles Wunder-Medikament, das Du Deinem Kind zum Start in diese Welt schenken kannst. Ohne es auch nur ein einziges Mal zu stillen! Denn abstillen kannst Du auch nach dem Kolostrum noch.
Schon viele Wochen, bevor Dein Baby zur Welt kommt, produziert Deine Brust eine Art von Milch, die sogenannte Vormilch oder Kolostrum. Hier eine Auflistung der Vorteile, die diese Substanz für Dein Neugeborenes hat:
- optimale Zusammensetzung von Makro- und Mikronährstoffen,
- verdauungsanregende Wirkung hilft, das Kindspech (Mekonium) abzuführen,
- und beim Bilirubin-Abbau (verringerte Gefahr einer Neugeborenengelbsucht)
- enthält Stammzellen, Enzyme und Wachstumsfaktoren,
- lebende Mikroorganismen und Darmbakterien legen sich wie ein Schutzfilm über die Darmschleimhaut, sodass sich weniger schädliche Bakterienstämme ansiedeln können,
- Schutz vor Allergien und Unverträglichkeiten durch eine gesunde Darmflora,
- wirkt stabilisierend auf den Blutzuckerspiegel (vor allem bei Schwangerschaftsdiabetes wichtig!),
- hat entwicklungsfördernde und immunologisch wirksame Stoffe wie Lactoferrin (bindet Eisen, das Bakterien zum Wachsen brauchen und schützt damit vor E-coli oder Staphylokokken im Darm), Immunglobuline, Phagozyten, Lymphozyten, Zytokine. Diese aktivieren das kindliche Immunsystem und schützen vor Infektionen (Nestschutz!).
Kolostrum ausstreichen und lagern
Wenn Du Dich jetzt hoffentlich dazu entschieden hast, dass Du Deinem Baby Kolostrum geben aber nicht stillen möchtest, fragst Du Dich vielleicht, wie genau Du das Kolostrum gewinnen sollst.
Einmal anlegen im Kreißsaal
Am einfachsten ist es natürlich, das einfach unmittelbar nach der Geburt Dein Baby selbst machen zu lassen. Sag einfach der Hebamme Bescheid, dass sie Dir beim Anlegen helfen und dann ggf. die Abstilltablette verabreichen soll. Keine Sorge, das Saugen tut die ersten Male nicht weh, es fühlt sich nur ein wenig merkwürdig an. Der schmerzhafte Teil mit prallen Brüsten und wunden Brustwarzen kommt erst nach 2-4 Tagen regelmäßigem Anlegen. Dafür habt ihr durch das Anlegen einen weiteren Vorteil: Durch den Hautkontakt und ausgeschüttete Hormone wird das Bonding nach der Geburt gefördert, die Plazenta kann leichter geboren und die Wunde in der Gebärmutter schneller zusammengezogen werden.
Vormilch in der Schwangerschaft abpumpen
Wenn Du aber mit diesem ganzen Saugen und Anlegen überhaupt nichts zu tun haben willst, empfehle ich Dir, vor der Geburt Vormilch auszustreichen und zu lagern. Das solltest Du erst ab der 37. SSW tun, weil eine Brustmassage und Abpumpen wehenanregend wirken kann. Das gewonnene Kolostrum kannst Du in einer Spritze oder einem kleinen, verschließbaren Gefäß, bei -18°C bis zur Geburt lagern. Im Kühlschrank ist es 4 Tage haltbar. Auftauen darfst Du die wundersame Substanz niemals in der Mikrowelle oder bei großer Hitze, denn das zersetzt die wertvollen Inhaltsstoffe. Stattdessen sollte sie einfach im Kühlschrank oder bei Raumtemperatur auftauen. Wenn es schneller gehen muss im Wasserbad, dann aber maximal bis Körpertemperatur erwärmen.
Füttern kannst Du sie direkt aus der Spritze, aus einem Becher oder mit dem Löffel. Für die Flasche eignet sich die Vormilch nicht, denn sie ist sehr dickflüssig und Du wirst nur kleine Mengen gewinnen können.
Vormilch ausstreichen nach der Geburt
Natürlich kannst Du auch unmittelbar nach der Geburt, egal ob im Krankenhaus, Geburtshaus oder Zuhause, Vormilch gewinnen und deinem Baby geben. Das Vorgehen ist in der Schwangerschaft und nach der Geburt derselbe. Nur, dass Du unmittelbar nach einer anstrengenden Geburt vielleicht nicht die Kraft oder Nerven dafür hast und nichts kommt, weil Du gestresst bist.
Hilfreich kann Stillzubehör wie eine Milchpumpe oder Wärmepads sein – allerdings eher zur Stimulation der Brust. Denn viele moderne elektrische Milchpumpen haben ein Programm, mit dem Du die Brust vorab massieren kannst und so den Milchfluss anregen. Ausstreichen solltest Du dann aber mit der Hand direkt in das Gefäß, in dem Du die Milch lagern möchtest. Denn die Mengen sind so klein und dickflüssig, dass das meiste in den Gängen der Milchpumpe kleben bleiben würde. Wenn Dir eine Milchpumpe für den kurzen Gebrauch sehr teuer vorkommt, lies Dir nochmal die obigen Vorteile durch und überlege, was allein eine spätere Erkrankung wie z.B. eine Allergie eines Tages kosten würde.
Das Abpumpen darf spürbar, jedoch nicht schmerzhaft sein. Du solltest vorher die Brust erwärmen, z.B. durch Duschen oder eine warme Auflage, Dich entspannen und vorab kann eine Brustmassage helfen. Diese kannst Du, wenn Du keine Milchpumpe nutzt, auch mit der Hand durchführen.
Dass nur wenige Tropfen Vormilch kommen, liegt nicht an einer falschen Technik, sondern in der Natur der Sache. Denn der Magen eines Neugeborenen ist etwa so groß wie eine Haselnuss und das Kolostrum so nährstoffreich, dass eine kleine Menge völlig ausreicht. Jeder Tropfen Vormilch ist ein Geschenk für Dein Baby, von dem es das ganze Leben lang profitieren wird!