Jeder von uns hat sicherlich irgendwann einmal etwas über das Fremdeln von Babys gehört oder sogar innerhalb des Freundes- oder Familienkreises erlebt. Doch wenn sich das eigene Baby von heute auf morgen von einem aufgeschlossenen Sonnenschein zu einem ängstlichen und weinenden Baby entwickelt, stehen wir diesem Phänomen erst einmal erschrocken gegenüber und fragen uns: Was habe ich bloß falsch gemacht?
Warum diese misstrauische Phase ein wichtiger Entwicklungsschritt Deines Babys ist, wann diese Zeit anfängt und wie Du am besten damit umgehen kannst, erfährst Du in diesem Artikel.
Themen des Beitrags
Ab wann fremdeln Babys?
Beginn und Ende der Fremdelphase
Einen genauen Zeitpunkt für den Beginn hierfür gibt es nicht. Denn jedes Baby ist in seiner individuellen Entwicklung anders. Einige Eltern berichten auch, dass das Kind mit seinem 12 Wochen Schub, also auch schon mit 3 Monaten, Anzeichen zeigt, wenn ihm (unbekannte) Personen zu nahe kommen.
Das Baby reagiert auf fremde Menschen von jetzt auf gleich mit Angst, Brüllen, Schreien und Abwenden, sucht gleichzeitig den Kontakt zu den Eltern und klammert sich förmlich an Mama oder Papa.
Du kannst aber davon ausgehen, dass diese Entwicklungsstufe in aller Regel frühestens mit dem 4. Monat und spätestens ab dem 8. Monat beginnt.
Sie wird dank des Entwicklungspsychologen Réné A. Spitz auch als „8-Monatsangst“ bezeichnet (1).
Aber auch diese Phase geht irgendwann zu Ende. Spätestens, wenn Dein Kind 3 Jahre alt ist, sollte sich der Spuk gelegt haben.
Definition
Was versteht man unter „fremdeln“?
Wenn Dein Baby anfängt, auf Ungewohntes und Neues skeptisch zu reagieren, hast Du bis dahin alles richtig gemacht. Das Vertrauensband zwischen Dir und Deinem Baby ist stabil. Und das ist doch wahrlich ein Grund zur Freude!
Zugegeben: Auf den ersten Blick erscheint es doch eher zum Heulen, wenn Dein Baby plötzlich vom Sonnenschein zum Angsthäschen mutiert. Doch ist dies ein wichtiger Schritt und zeugt von sozialer und emotionaler Reife Deines Babys.
Das Fremdeln ist ein gutes Zeichen und ein Beweis dafür, dass zwischen Dir und Deinem Baby eine enge Bindung besteht. Dein Baby weiß, dass es bei Dir gut aufgehoben ist, wenn es Angst oder Unsicherheit verspürt.
Mit diesem Gefühl ausgerüstet, kann es mutig seine Umgebung erkunden und somit zu einem selbstbewussten und offenen Menschen heranwachsen.
Anzeichen und Symptome
Das sind die typischen Anzeichen, wenn Dein Baby fremdelt:
- Zurückhaltendes bis abweisendes Verhalten.
- Komplette Kontaktverweigerung.
- Der Körper des Babys versteift sich.
- Das Baby schaut ängstlich.
- Das Baby weint oder schreit sogar.
- Das Baby klammert sich an die Mutter.
Dieses Verhalten kann sich übrigens sowohl auf fremde als auch auf bekannte Personen beziehen und an einigen Tagen mal mehr oder weniger ausgeprägt sein. Dabei spielt die persönliche Tagesform eine wichtige eine Rolle.
Neben dem abweisenden Verhalten kann Dein Kind auch ein neugieriges Auftreten in Bezug auf fremde Personen an den Tag legen. Fühlt es sich sicher auf dem Arm der Mutter, kannst Du beobachten, dass es nach einer Weile neugierig seine Ärmchen nach der anderen Person ausstreckt und sogar ein Lächeln über sein Gesicht huscht. Anschließendes Spielen nicht ausgeschlossen.
Ursache
Warum kommt es zu dieser Angstphase?
Mit Eintritt der Fremdelphase beginnt Dein Baby zwischen Vertrautem und Fremdem zu unterscheiden. In seinen ersten Lebenswochen und -monaten war es völlig auf seine Eltern fixiert. Wobei Du als Mutter für Dein Baby die Hauptbezugsperson in der Familie warst. In dieser Zeit hat sich ein enges Vertrauensband zwischen Dir und Deinem Baby gebildet.
Wenn Dein Baby anfängt zu robben und dann zu krabbeln, erweitert sich dadurch naturgemäß sein Radius und es wird zu einem kleinen Entdecker. Zwar wird es Spaß an seiner neugewonnenen Freiheit haben, doch macht es ihm auch ein wenig Angst. Denn das viele Neue ist ungewohnt und es ist nicht mehr stets sicher an Deinem Körper oder dort, wo Du es abgelegt hast. Dein Baby entwickelt eine gesunde Zurückhaltung gegenüber allem Unbekannten und wird sich bei Bedarf zu Dir in seinen sicheren Hafen flüchten.
Diese Reaktion ist sozusagen eine eingebaute Kindersicherung: Wenn Dein Kind Gefahr wittert, sucht es Deine Nähe. Dein Baby wechselt in dieser Phase also von blindem Vertrauen zu einem gesunden Misstrauen.
Ein anderer Aspekt ist die wachsende Fähigkeit, zwischen den bekannten Gesichtern der Eltern und denen von Fremden zu unterscheiden. Das Gesicht kenne ich nicht, also macht es mir Angst.
Wie Dein Baby die (Gefahren-) Lage beurteilt
In neuen Situationen wird sich Dein Baby an Deinem Verhalten orientieren bzw. die Gefährlichkeit der Situation anhand Deiner Körpersprache einschätzen. Verhältst Du Dich in einer Situation ängstlich oder aufgeregt, geht Dein Kind davon aus, dass hier eventuell Gefahren lauern. Es wird dann erst Recht Zuflucht bei Dir suchen.
Sei Dir Deiner Vorbildfunktion daher stets bewusst. Ein überängstliches Verhalten deinerseits hemmt Dein Kind in seiner Entwicklung. Eine zu entspannte Haltung von Dir, kann wiederum ins andere Extrem umschlagen. Dein Kind wird zu vertrauensselig zu fremden Personen sein und Gefahren nicht richtig einschätzen können. Der goldene Mittelweg ist hier also das Beste für Dein Kind.
Angst vor Trennung
Eine weitere Form des Fremdelns ist die Trennungsangst. Sobald Du den Raum verlässt, beginnt Dein Baby unruhig nach Dir zu suchen und fängt an zu weinen, wenn es Dich nicht mehr sieht.
Das ist ganz normal. Denn seit seiner Geburt hat es gelernt, dass Du als seine Hauptbezugsperson immer da bist und Dich stets liebevoll um all seine Bedürfnisse kümmerst. Sozusagen: Das Rundum-Sorglos-Paket.
Da Dein Baby komplett auf Dich angewiesen ist, ist es nur zu verständlich, wenn es in Panik gerät, wenn Du außer Sichtweite bist. Noch dazu hat es kein Empfinden für Zeit. Wenn Du Dir also denkst, es waren ja nur 2 Minuten, dann geh nicht davon aus, dass Dein Baby eine ähnliche Einschätzung haben könnte.
Dein Baby wird aus dieser Geborgenheit heraus sein Urvertrauen entwickeln, das im späteren Leben entscheidend für seine zwischenmenschlichen Beziehungen sein wird.
Tipps
Das kannst Du tun, wenn Dein Baby zum Angsthäschen wird
Da das Fremdeln ein ganz natürlicher Entwicklungsvorgang ist, solltest Du Deinem Baby die größtmögliche Unterstützung bieten. Deinem Baby hilft es sehr, wenn Du ihm gerade in dieser Zeit viel Geborgenheit und Sicherheit vermittelst.
Akzeptiere es, wenn Dein Baby sich auf Deinem Arm sicher fühlt und zwinge es nicht in die Arme anderer. Auch hier gilt das gesunde Maß zwischen Behütung einerseits und Loslassen andererseits. Denn auch in dieser Zeit müssen Kinder lernen, in sozialen Kontakt mit anderen zu treten.
Richtiger Umgang mit fremdelndem Kind
Nachstehend findest Du einige Tipps, die Dir den Umgang mit Deinem Kind in dieser Zeit erleichtern:
- Respektiere die Angst Deines Kindes.
- Bleib bei fremden Personen entspannt. Damit signalisierst Du Deinem Kind, dass alles in Ordnung ist. Die ablehnende Haltung Deines Kindes fällt dann eventuell weniger heftig aus.
- Warte ab, bis Dein Kind von selbst auf andere Personen zugeht. Wenn es sich bei Dir sicher fühlt, kommt dieser Schritt meist von ganz allein.
- Beobachte Dein Kind genau. Beim kleinsten Anzeigen von Angst, gehe zu ihm, sprich beruhigend mit ihm und streichele es. Wenn nötig, ziehe Dich mit Deinem Kind ein wenig zurück.
- Erkläre das Verhalten Deines Kindes der anderen Person und bitte nach Möglichkeit um etwas Abstand.
Kind langsam an fremde Personen gewöhnen
Möchtest Du Dein Kind an eine fremde Person gewöhnen, helfen Dir möglicherweise diese Tipps:
- Geduld ist das Wichtigste.
- Lerne die neue Person gemeinsam mit Deinem Kind kennen und baue den neuen Kontakt langsam aus.
- Integriere die neue Person behutsam in alltägliche Situationen, wie Füttern, Windeln wechseln und natürlich Spielen.
- Wenn die erste Trennung zu Deinem Kind ansteht, kündige dies vorher an und schleiche Dich auf keinen Fall davon. Sei fröhlich dabei und vermeide lange Abschiede.
- Verlängere die Zeit Deiner Abwesenheit von Mal zu Mal und bleibe die erste Zeit immer in der Nähe.
Alles eine Frage des Charakters?
Das Fremdelverhalten Deines Babys ist nicht nur von Deinem Verhalten abhängig, sondern auch von seinem Charakter. Da sind auf der einen Seite die mutigen Draufgänger, die vor nichts Angst haben und sich in jedes Abenteuer stürzen. Auf der anderen Seite stehen die ängstlichen, zurückhaltenden Kinder, die von Natur aus allem und jedem skeptisch gegenüber stehen.
Da verwundert es wenig, dass eben diese schüchternen Kinder eher zu starkem Fremdeln neigen. Auch die Dauer ist unterschiedlich. Während bei aufgeschlossenen Kindern nur ein leichtes Fremdeln zu bemerken ist und sie diese Phase schneller überwinden können, kann sie bei zurückhaltenden Kindern durchaus bis zum Ende des dritten Lebensjahres andauern.
Egal, wie ausgeprägt diese Angstphase bei Deinem Baby ist, eine Portion Extra-Liebe und Geborgenheit brauchen alle Kinder in dieser Zeit.
Neben dem Charakter Deines Kindes spielt auch Dein Charakter eine mögliche Rolle in der Fremdelphase. Wenn Du ein aufgeschlossener Mensch mit vielen Kontakten bist, könnte sich dies positiv auf das Verhalten Deines Babys auswirken. Wenn Du ein eher zurückhaltender Mensch mit wenig Kontakten bist, wird sich Dein Kind umso mehr an dich klammern.
Gibt es Babys, die nicht fremdeln?
Ja, es gibt Kinder, die kein Angstverhalten in Bezug auf andere Personen zeigen. In der Praxis sieht das so aus, dass diese Babys und Kinder zu jedem Fremden gehen, sich zum Beispiel auf den Schoß setzen und offenbar keinerlei Berührungsängste haben. Sie erfreuen sich aufgrund ihres freundlichen und unkomplizierten Wesens großer Beliebtheit in der Gesellschaft.
Doch dieser vermeintlich positive Charakterzug ist aus psychologischer Sicht für die Entwicklung Deines Kindes, vorsichtig ausgedrückt, gar nicht gut. Denn es kann ein Anzeichen dafür sein, dass beim Bindungsaufbau zwischen Dir und Deinem Baby etwas schief gelaufen ist und die Bindung zu Dir daher nicht stabil genug ist. Mögliche Ursachen können auf eine schlechte Erfahrung mit der Bezugsperson zurückgeführt werden oder auf mangelnde Liebe und Geborgenheit.
Das mag jetzt vielleicht etwas scharf formuliert sein und Du wirst Dich nicht angesprochen fühlen. Doch mangelnde Zeit aufgrund dessen, dass Du als Mutter vielleicht sofort wieder arbeiten musstest, kann ein Nichtfremdeln Deines Babys bewirken.
Allerdings kommt es auch vor, dass Du als Elternteil vielleicht denkst, Dein Kind würde nicht fremdeln, weil Du die Zeichen anders interpretierst. Jedes Kind hat ein eigenes Temperament und eigene Grenzen im “mutigen” Verhalten. Vielleicht ist Dein Kind nur einfach besonders fruchtlos und gewöhnt sich schneller an fremde Personen? Wenn Du Dir sorgen machst, ob Dein Kind fremdelt, oder nicht, sprich mit anderen und im Zweifelsfall mit einer Fachperson darüber.
Fazit:
Fremdeln ist nicht etwa die Folge einer falschen “Erziehung”, sondern ist ganz normal und kann Dein Kind im besten Fall sogar vor Gefahren schützen!
Sei in dieser Phase also geduldig und verständnisvoll, denn sie wird von selbst wieder aufhören.
Bild: ©Tatyana_Tomsickova / bigstockphoto.com
Quellen & Literatur: (1) De Raeymaecker D. (1989) Die psychoanalytische Perspektive: Entwicklung in der Frühesten Kindheit. In: Keller H. (eds) Handbuch der Kleinkindforschung. Springer, Berlin, Heidelberg
Auf Pinterest merken: