Ich erinnere mich noch an meine Zeit als Au-Pair in England. Damals hatte ich von Kindern und deren Bedürfnissen noch recht wenig Ahnung und tat es einfach der Familie gleich. Für die Einjährige bedeutete das: Wann immer ich die Hände frei brauchte oder mal verschnaufen wollte, wurde sie im Gehfrei “geparkt”. Denn dort war sie ruhig und beschäftigt und konnte eigenständig im Haus umherflitzen. Erst später erfuhr ich, wie diese Art von Lauflernhilfe für Kinder gefährlich werden können und dass manche Eltern sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sogar fordern, sie verbieten zu lassen.
Warum ein Gehfrei so verpönt ist und ob es gute Alternativen gibt, fasst dieser Artikel zusammen.
Themen des Beitrags
Was ist ein Gehfrei?
Ein Gehfrei oder “Babywalker” ist ein stabiler, fahrbarer Rahmen aus Plastik, in dem ein Sitz aus Stoff hängt. Die Beine des Kindes werden in die entsprechenden Löcher gesteckt und es kann nicht herausfallen. Dabei nimmt es eine halb sitzende, halb stehende Position ein und beweget sich durch strampeln fort.
Sobald die Füße den Boden berühren, kann das Kind auf diese Weise im Gehfrei “laufen” und sich damit schnell fortgewegen. Ein Gehfrei ist zugelassen, sobald ein Baby selbständig sitzen kann und viele Modelle verfügen über zusätzliche Spielmöglichkeiten, Töne oder Lichteffekte.
Hersteller und Bedienungsanleitung werben damit, dass diese Geräte Babys beim Laufen lernen unterstützen sollen. Tatsächlich aber tun sie genau das Gegenteil und sind zudem gefährlich.
Warum ist ein Babywalker gefährlich?
Denn die Kinder werden darin in eine aufrechte Position gebracht, noch bevor der Haltungsapparat, also die Muskulatur dafür stark genug ist. Weil die Babys dadurch viel Bewegungfreiheit und Möglichkeiten bekommen, die sie im Liegen nicht hätten, verweilen sie dort über längere Strecken und sind ruhig und zufrieden. Eltern genießen die kurze Auszeit und beenden sie erst, wenn das Kind quengelig wird.
Ohne solche Gerätschaften wie ein Gehfrei sitzt oder steht ein Kind immer nur so lange, wie es Kraft dazu hat. Dadurch kommt es nie zu einer Überbelastung der Bandscheiben und des gesamten Haltungsapparates. Im Gehfrei dagegen spüren die Kleinsten im Eifer des Gefechts eine Überlastung womöglich gar nicht oder erst viel später.
Auch an dem Hersteller-Versprechen, dass ein Gehfrei den Lauflern-Prozess unterstützen würde, ist absolut nichts dran. Denn die Haltung und Belastung der Muskulatur gleicht nur entfernt der beim aufrechten Gang. Die Kinder “hängen” beim Laufen, statt das Gleichgewicht zu erlernen und die Zehenspitzen sind nach unten gerichtet.
Weil der Bewegungsablauf so insgesamt ein ganz anderer ist, lernen Kinder so möglicherweise ein falsches Gangbild und die physiologische, natürliche Lauflernentwicklung wird behindert.
Manchmal führt das sogar zu einem behandlungsbedürftigen Haltungsfehler beim Gehen. Es können Fußfehlstellungen, eine Fehlbelastung der Wirbelsäule, Muskelverkürzungen und Gangbildveränderungen auftreten.
Durch die Behinderung der richtigen Entwicklung lernen Kinder, die häufig in Babywalker gesetzt werden, erst später laufen als ihre Altersgenossen, das zeigen Beobachtungen an Zwillingskindern.
Ein Gehfrei ist also nicht nur gefährlich, sondern behindert auch die natürliche Entwicklung. 2002 fand eine Studie eine enge Relation zwischen der Zeit, die Kinder im Babywalker verbrachten und der verzögerten Lauflernentwicklung. (BMJ 2002;324:1494)
Aber ein Gehfrei ist auch unmittelbar gefährlich. Denn darin erreichen die Kleinen hohe Geschwindigkeiten von bis zu 10 km/h. Das ist für die Wahrnehmung des Kindes viel zu hoch und führt zu Unfällen durch Treppenstürze, Stöße, oder Prellungen. Auch von leichten Schleudertraumata durch abruptes Abbremsen, wenn ein Hindernis erreicht wurde, ist die Rede. Denn die Kinder erkennen zum einen noch nicht rechtzeitig, wann der Aufprall zu erwarten ist, zum anderen ist auch ihre Muskulatur noch nicht stark genug, um so starke Stöße auszugleichen.
Durch ein Gehfrei ist das Baby außerdem viel höher als im Krabbeln und zudem schlechter zu überwachen. Im Nu ist es so vom Wohnzimmer in die Küche gehuscht und zieht am Kabel des Wasserkochers oder fährt mit voller Wucht gegen den Tisch, auf dem die heiße Suppe steht. Verbrennungen und Verbrühungen sind bei Kindern im Gehfrei darum keine Seltenheit.
Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte passiert so ein Unfall mit Gehfrei etwa 6.000 Mal pro Jahr in Deutschland.
In Deutschland gehen viele Eltern ganz unvoreingenommen davon aus, dass Spielgeräte für Kinder entsprechend sicher und frei von Folgeschäden sind. Genauso erging es mir in meiner Zeit in England. Immerhin werden in Industrieländer die meisten Babyprodukte auf und ab geprüft und nur zugelassen, wenn sie gänzlich ungefährlich sind.
Deshalb werden auch immer noch etwa die Hälfte aller Babys in solche potentiell schädlichen Gehfreis gesetzt, obwohl die Stiftung Warentest und andere unabhängige Institutionen seit etwa 20 Jahren davor warnen.
Analog zum Gehfrei sind übrigens auch Türhopser zu sehen. Während die Verletzungsgefahr hier zumindest geringer ist, weil kein großer Bewegungsradius und keine hohen Geschwindigkeiten erreicht werden, ist die Verweildauer der Kleinsten in einer unphysiologischen halb-hängenden Position trotzdem viel zu hoch. Dadurch drohen Haltungsschäden und Entwicklungsverzögerungen.
Gibt es eine gute Alternativen zum Gehfrei?
Jedes gesunde Kind lernt im Laufe seiner Entwicklung, zu laufen. Das geht ganz von selbst und benötigt keine Hilfe von Außen – weder durch Menschen, noch durch Geräte. In jeder Wohnung findet ein Baby ausreichend Möglichkeiten, sich hochzuziehen, entlangzuhangeln und das fortbewegen zu üben. Das beste wäre wohl, dieser Entwicklung einfach freien Lauf zu lassen und mit Maßnahmen zur Kindersicherheit in der Wohnung darauf zu achten, dass keine ernsten Verletzungen entstehen können.
Trotzdem haben viele Eltern Freude daran, ihren Kindern eine extra Möglichkeit zum Üben zu geben und genießen auch die sinnvolle Beschäftigung, die ihr Kind durch eine Lauflernhilfe erhält. Denn die meisten Kinder haben großen Spaß daran, etwas vor sich herzuschieben und sich so durch den Raum zu bewegen.
Lauflernwagen
Dagegen spricht erst einmal auch nichts. Hilfreich ist es allerdings auch nicht. Denn Babys, die noch nicht laufen können, lernen das durch Lauflernwägen auch nicht schneller. Die Haltung und das aufrechte Laufen am Lauflernwagen unterscheidet sich in der Haltung und Bewegungsart erheblich vom freien Laufen. Weil das Wägelchen immer weiter nach vorne rutscht, verlagern Kinder ihr Gewicht automatisch auf die Lauflernhilfe und sind leicht nach vorne gebeugt. Das freie Stehen und Laufen ist ein anderer Bewegungsablauf, der separat und zusätzlich erlernt werden muss.
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Trotzdem gibt es keine Hinweise auf Spätschäden durch Lauflernwägen, auch wenn Dein Baby vielleicht ein paar zusätzliche Male hinfällt bei den ersten Versuchen. Die Fallhöhe ist hier gering und entspricht der beim natürlichen Laufen lernen. Also kein Grund zur Sorge.
Rutscherfahrzeuge
Auch mit Rutscherfahrzeugen können sich Kinder schon durch den Raum bewegen, bevor sie richtig laufen können. Auch hier findet der Bewegungsablauf in der Aufrechten statt und ähnelt so auf den ersten Blick dem beim Gehen. Allerdings gilt hier dasselbe wie bei Lauflernwägen: Das Laufen lernen Kinder so nicht, nur eben das aufrechte Fortbewegen mit Rutschfahrzeugen.
- Extrem schönes Design, MADE IN ITALY. Penible Sorgfalt bei der verwendung von naturlichen Materialien.
- Multifunktionswagen: Lauflernwagen + Transportswagen + Rutschwagen!
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Fazit: Lauflernhilfen sind immer unnötig, manche aber ungefährlich
Wenn Du also als Spielzeug eine Lauflernhilfe für Dein Baby kaufen möchtest, spricht nichts dagegen, solange Du von einem Gehfrei absiehst und auf eine der beiden genannten Alternativen zurückgreifst. Laufen lernen muss Dein Kind allerdings trotzdem alleine, dieser Prozess lässt sich weder beschleunigen, noch unterstützen.
Bild: stock.adobe.com – © Oksana Kuzmina
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